Am Abend des 25.09.2018 fanden die Moskauer Gespräche an einem für sie ungewohnten Ort statt: Kaliningrad. Am Wirkungsort des berühmten deutschen Philosophen Immanuel Kant trafen sich deutsche und russische Experten in den Räumen der „Baltisch Föderalen Immanuel-Kant-Universität“, um gemeinsam über das Thema „Schlüsselqualifikationen im globalen Bildungs-Wettbewerb“ zu diskutieren. Im Fokus standen unter anderem die Fragen: Wie reifen Jugendliche so heran, dass sie ihre Talente möglichst voll entwickeln können? Was würde Kant zu heutigen Bildungszielen sagen? Wie können bi-kulturelle Jugendliche im globalen Wettbewerb profitieren?

Unter Anleitung des Moderators Andreas Stopp hatten sich von deutscher Seite Hartmut Koschyk, der Stiftungsratsvorsitzende der Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland und erster Vorsitzender des Alexander von Humboldt-Kulturforums Schloss Goldkronach e. V, sowie die Psychologin  Dr. Rosina Neumann von der Universität Rostock zur Diskussion eingefunden. Ergänzt wurde die Runde durch Herrn Kornilaew Leonid, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Akademie Kantiana und Kant Experte, sowie durch den Leiter der juristischen Fakultät der Baltisch Föderalen Immanuel-Kant-Universität.

Eröffnet wurde die Veranstaltung durch den stellvertretenden Geschäftsführer des Deutsch Russischen Forums, Sebastian Nitzsche. Dieser erinnerte die über 100 anwesenden Zuhörer an die lange Tradition der Moskauer Gespräche, die neben dem üblichen Veranstaltungsort Moskau auch bereits in Kasan, St. Petersburg und Berlin stattgefunden haben und nun auch ihre Premiere in Kaliningrad feiern durften. Zusätzlich konnte das Deutsch Russische Forum (DRF) auch von einem weiteren Novum berichten: die Partnerschaft mit der Universität Würzburg. Gemeinsam mit der Julius-Maximilians-Universität wird das DRF im bilateralen Themenjahr im Bereich Bildung und Forschung den Austausch zwischen deutschen und russischen Hochschulen bereichern. Nach einem Dank an die ebenfalls anwesende stellvertretende Vorsitzende des Internationalen Verbands der deutschen Kultur (IVDK), Olga Martens, und an alle an der Organisation des Events Beteiligten übernahm Katharina Lindt als Vertreterin der Moskauer Deutschen Zeitung das Wort. Mit Dank an die Universität für die Ausrichtung des Gesprächs gab Frau Lindt sogleich das Wort weiter an den Prorektor der Baltisch Föderalen Immanuel-Kant-Universität, der seiner Begeisterung darüber Ausdruck verlieh, dass seine Universität einen Beitrag zur Verständigung zwischen Deutschland und Russland leisten kann.

Nach dieser Einführung übernahm Herr Stopp die Moderation. Er begann die Diskussion mit der Frage, ob Kant auch im 21. Jahrhundert noch relevant sei und zu welchen Themen seine Philosophie uns heute noch nutzbringende Erkenntnisse liefern könne. Herr Leonid, von der Akademie Kantiana, verwies vor allem auf die andauernde Relevanz Kants in Fragen der Pädagogik und der Ethik, die jungen Menschen die Werkzeuge für die wohl entscheidendste Frage bei der Lebensplanung an die Hand geben könne: Wie sollte ich das eigene Leben gestalten?

Um diese Expertenmeinung zu testen, ging Herr Stopp ins Gespräch mit Studenten im Publikum, um zu erfahren, inwieweit Kant in ihrem Leben relevant ist.  Die Studenten waren sich darin einig, dass Kants Aufruf, den Mut zu haben sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, ihr Leben grundlegend beeinflusst habe.  Nach einer abschließenden Erklärung über die Schwierigkeiten bei der Übersetzung Kants und seiner universellen Verständlichkeit im Russischen als auch im Deutschen, wendete sich die Diskussion der modernen Pädagogik und Frau Dr. Rosina Neumann zu.  Sie kritisierte die momentan vorherrschende faktenbasierte und kurze Ausbildung im Rahmen des Bachelorsystems und forderte, ganz im Sinne Kants, zu einer universellen und breit aufgestellten akademischen und charakterlichen Ausbildung von Studenten zurückzukehren. Diesem Aufruf schloss sich auch Herr Hartmut Koschyk an und betonte seine große Hoffnung auf die junge Generation, die bereit sei, einen freiwilligen Dienst für die Gesellschaft zu leisten und längere Zeit im Ausland zu verbringen.  Er unterstrich die Vorbildfunktion berühmter Persönlichkeiten wie Kant, der durch eine universelle Bildung des Menschen ein friedliches Zusammenleben erreichen wollte, oder Humboldt, der durch seine Reise nach Russland dieses Land dem Westen näherbrachte. Zusammenfassend stellte Herr Koschyk fest, dass Bildung der Grundstein für Frieden und Wohlstand sei, denn „ohne Kenntnis kein Verständnis“.

Diese Aussage rief mehrere Fragen im Publikum hervor und ein Zuhörer bat darum, das Wort an alle Anwesenden richten zu dürfen. Er begrüße die freundlichen Worte von deutscher Seite und hoffe, dass die Beziehungen zwischen dem Westen und dem Osten besser würden. Doch habe er das Gefühl, dass neben den Worten von Verständnis und gemeinsamer Zusammenarbeit vielfach die Politik und Wirtschaft die Überhand gewönnen. Er hoffe, dass die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen, aber vor allem zu Deutschland, wieder durch die humanistischen Werte Kants geleitet würden und so ein tieferes Verständnis auf beiden Seiten entstehen könne.

 

Der letzte Teil der Diskussion wurde durch die praktische Erfahrung des Leiters der juristischen Fakultät der Baltisch Föderalen Immanuel-Kant-Universität bestimmt. Dieser betonte, dass Kants rationales Denken, sein Aufruf zum andauernden Lernen und seine Bereitschaft, eigenes Denken zu wagen, für Studenten seiner Fakultät und alle Menschen im 21. Jahrhundert von andauernder Relevanz seien. Da zu dieser Zeit der Zeitrahmen für die Diskussion bereits überschritten war, aber von Seiten der Teilnehmer noch Diskussionsbedarf bestand, beendete Herr Stopp das Gespräch im Saal, lud aber zu dessen Fortsetzung auf dem anschließenden Empfang ein.

 

Das Moskauer Gespräch in Kaliningrad hat gezeigt, dass Kants Relevanz auch im 21.Jahrhundert ungebrochen ist und seine Werke nicht nur wichtige Hinweise für das Bestehen im Bildungswettbewerb, sondern auch im Bereich der Verständigung zwischen Russland und seinen Nachbarn beinhalten.